Stiftungsjahrestag 2019

Im Mittelalter läutete in der Marienkirche regelmäßig die Gerichtsglocke; am Abend des 8. November 2019 läutete unser Kantor Manfred Grob mit der Orgelkomposition ‚The Bells‘ den feierlichen Stiftungsjahrestag ein.

Der Vorsitzende, Pfarrer Ingo Maxeiner, begrüßte die zahlreichen Gäste und alle Mitwirkenden sehr herzlich, um dann die traurige Nachricht mitzuteilen, dass zwei liebe und geschätzte Freunde der Stiftung im Herbst verstarben: Der ehemalige Leiter des Stadtarchivs, Prof. Dr. Thomas Schilp, der durch seine Publikationen viel für die Wahrnehmung der Marienkirche in der Öffentlichkeit bewirkt hat und die frühere Presbyterin Frau Dr. Inge Janßen, die an der Stiftungsgründung maßgeblich beteiligt war und viele Jahre mit hoher Kompetenz allen Interessierten die Kulturschätze der Marienkirche nahegebracht hat. In dankbarer Erinnerung und zum ehrenden Andenken erhoben sich alle Anwesenden zu einem kurzen Gebet.

In ihren Grußworten der Stadt dankte die Bürgermeisterin, Frau Birgit Jörder, für das außerordentliche – und für die Stadt unverzichtbare – Engagement, mit dem sich die Stiftung für den Erhalt der Marienkirche einsetzt, und wünschte weiterhin viel Erfolg bei dieser Arbeit. Die Superindententin EKKDO, Frau Heike Proske, schloss sich der Würdigung der Stiftungsarbeit an und ermutigte, mit Spenden das kulturelle Erbe dieser Stadt zu erhalten – gerade in den jetzigen zinsschwachen Zeiten.

Die Orgelkomposition „In der Fremde“ von Otto Heinermann, die Kerstin Wolke mit glockenklarem Gesang begleitete, läutete den Festvortrag von Frau Dr.-Ing. Maren Lüpnitz ein. Dieser galt dem mittelalterlichen Kirchenbau und baulichen Befunden, die noch heute von Bauabläufen und Planungsänderungen berichten. In diesem Sinne führte der Vortrag zunächst einmal von Dortmund aus „in die Fremde“: zum Kölner Dom.

An der Stelle des karolingischen, dreischiffigen Altdoms, der durch bewusst gelegtes Feuer niedergelegt worden war, sollte Mitte des 13. Jahrhundert eine fünfschiffige Kathedrale mit einem mächtigen Chor nach französischem Vorbild errichtet werden. Es war Meister Gerhard, so sein überlieferter Name, der diese gotische Kathedrale plante und bauen ließ. In einer Zeit von Ellen- und Fußmaß sind proportionsgerechte Zeichnungen noch selten und maßstäbliche Baupläne werden erst in späteren Jahrzehnten möglich sein. Und so war es sein baumeisterliches Können, das aus der Idee einer prächtigen Kathedrale ein statisch, technisch und ästhetisch überzeugendes Bauwerk entstehen ließ. Er verwendete jahrhundertealte Werkzeuge wie Messlatte, Rechtwinkelmaß und Zirkel, um den Grundriss abzustecken und das Maßwerk der Fenster zu gestalten. Und er nutzte das schon in der Antike bekannte Lot, um die behauenen Steine akkurat zu senkrechten Wänden zu schichten.

Bei einem solch gigantischen Bauwerk war eine umfassende Bauorganisation nötig. Meister Gerhard ließ laut Aussage von Dr. Lüpnitz ca. 85 % der Bauteile vorfertigen. Doch aufgrund der historisch bedingten Maßungenauigkeiten kam es zu einer Vielzahl von Längen- und Winkelfehlern. In farbigen Foto-Ansichten und in – heute millimetergenau darstellbaren – Grundrissen, Ansichten und Querschnitten wurde veranschaulicht, wie Meister Gerhard diese Ungenauigkeiten ausglich: Beim Mauerwerk tat er dies durch einen kleinen Versatz hier, ein etwas breiteres Mauerstück dort. Bei den ebenfalls vorgefertigten Maßwerkfenstern kam es neben Ungenauigkeiten offenbar zu Planungsänderungen: Das Maßwerk wurde zum Teil etwas versetzt eingebaut und zusätzlich wurden Eisenstangen eingebaut. So konnte man größere Glasteile einsetzten und die Fenster waren dadurch auch gegenüber Windkräften besser versteift. Diese baulichen „Tricks“ sind heute technisch messbar, doch für das Auge des damaligen wie heutigen Betrachters bleiben sie angesichts der großen wie großartigen Architektur fast unmerklich.

Als weiteres Beispiel solcher notwendigen Änderungen während der Bauausführung stellte Dr. Lüpnitz den Chorbau des Regensburgers Dom vor. Im Zuge mehrerer Bauphasen sind die nördliche und südliche Chorhälfte letztlich unterschiedlich breit geraten, und so mussten sowohl die Wandsegmente als auch die vorgefertigten Maßwerkfenster vor Ort angepasst werden – was aufgrund baumeisterlichen Geschicks bis heute wenig auffällt.

Zum Abschluss ihres Vortrages fokussierte Dr. Lüpnitz die mit Spannung erwarteten baulichen Befunde in unserer Marienkirche, die auf Bauabläufe und Planungsänderungen im Wandel von der Romanik zur Gotik verweisen. Die Marienkirche wurde als romanischer Bau um 1170 begonnen – während in Paris zeitgleich bereits die gotische Kathedrale Notre Dame erbaut wurde. Rund 150 Jahre später wurde die Marienkirche gotisch überformt, indem an das romanische Langhaus ein gotischer Hochchor angebaut wurde. Studierende des Praxisseminars von Dr. Lüpertz an der TU Dortmund hatten entsprechende Bereiche der Architektur in Chor, Mittelschiff und Seitenschiffen verformungstreu (d.h. so wie vor Jahrhunderten gebaut, ohne eventuelle spätere Verformungen) aufgemessen, von Hand gezeichnet und sämtliche Baubefunde dokumentiert.

Planänderungen gab es offenbar schon während der romanischen Bauphase: So finden sich an zwei Mittelschiffpfeilern große Plinthen (Säulenplatten), doch statt einer wohl vorgesehenen massiven Halbsäule wurden darauf zwei zierlichere Säulen errichtet, so dass ein Teil der Plinthe nun übersteht. Auch an den beiden Chorpfeilern lassen sich Planänderungen feststellen, die wohl der höheren Gewölbelast beim Bau des gotischen Chores geschuldet sind: Während die halbrunde Säulenvorlage mit halbrunder Basisplatte auf einer rechteckigen Plinthe ruht, findet sich unmittelbar seitlich anschließend zwar auch eine runde Basis über rechteckiger Plinthe, doch sie leitet hier nicht zu einer Säule über, sondern auf ihr ruht wiederum eine eckige Basis für eine eckige Pfeilervorlage. Solche überraschenden Entdeckungen erläuterte Dr. Lüpnitz noch an weiteren Stellen der Außen- wie Innenarchitektur. Der Festvortrag bot somit reichlich Anregung, den Kirchenraum neu zu erkunden.

Sie sind herzlich eingeladen, zu unseren Kirchenöffnungszeiten auf Entdeckungsreise zu gehen. Sehr interessant ist zum Beispiel die Auflassung im Mauerwerk in der heutigen Berswordt-Kapelle: Oberhalb des Levitenstuhls können Sie noch die – von einem kleinen Würfelkapitell gekrönte – zierliche Säule erkennen, die ursprünglich zur romanischen Apside überleitete.

Vorstandsmitglied, Herr Dr. Bernt Langeneke, stellte den Rechenschaftsbericht für 2018 vor: Die Stiftung hat satzungsgemäß zur Förderung der Kirchenmusik die Gesamtkosten der Orgelsanierung übernommen. Die Anzahl der Spenden ist konstant geblieben. Dankbar für großzügiges Spenden aus der Ü60-Generation stellt sich der Vorstand im Sinn einer zukunftsorientierten Arbeit der Aufgabe, weitere Spenderinnen und Spender in den nachfolgenden Generationen zu gewinnen.

Zum Abschluss dieses informativen und feierlichen Abends dankte die stv. Vorsitzende, Frau Renate Fischer, allen für Ihr andauerndes Engagement sowie die großartige Spendenbereitschaft und lud zu Umtrunk und Gespräch herzlich ein.

Silvia Schmidt-Bauer
Schriftführerin Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik