Stiftungsjahrestag 2018

Ein Jubiläum an einem geschichtsträchtigen Datum: dem 9. November. Das von Kantor Manfred
Grob zur Eröffnung dieses Stiftungsabends ausgewählte Orgelwerk ließ bereits die Dimensionen
dieses historischen Datums aufflammen: Olivier Messiaens in den frühen 1930er Jahren komponiertes Werk
Erscheinung der ewigen Kirche forderte die Zuhörer zunächst in seinem modernen, atonalen Klangbild, das in einem lange anhaltenden Schlussakkord diese Ewigkeit erahnen ließ.
Herr Maxeiner begrüßte die zahlreichen Festgäste zu diesem besonderen Stiftungsjahrestag. Bürgermeister Manfred Sauer brachte seine Freude zum Ausdruck, bereits zum fünften Mal die Grußworte der Stadt überbringen zu dürfen und ermunterte zu Spenden, um die Kulturschätze dieser„wunderbarsten Kirche hier in Dortmund“ weiterhin zu erhalten.
Die Grußworte der Evangelischen Kirche sprach die neu gewählte Superintendentin Frau Heike Proske. Mit Blick auf die Jahre 1918, 1938 und 1989 bezeichnete sie den 9. November als Tag der Freude und der Trauer und betonte die Bedeutung von Erinnerungskultur. Einer solchen Erinnerungskultur dient auch die Arbeit der Stiftung.
Musikalisch gerahmt wurde der dann folgende Festvortrag über das Berswordt-Retabel von zwei Kompositionen des früher an St. Marien tätigen Organisten und Kantor Otto Heinermann
Der am Kreuz ist meine Liebe. Eine thematische Improvisation stand am Anfang des Vortrages, am Ende folgte eine gleichnamige Fuge, die sich von einem getragenen, tieftönigen Klangbild mäandernd die Tonleiter hochschwang zu einem mächtigen Finale.
Den Festvortrag über
Das Rätsel des steigenden Ebers – Das Berswordtretabel aus kunsttechnologischer Sicht hielten Prof. Dr. Regina Urbanek (Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft an der TH Köln) und Prof. Dr. Thomas Schilp (Fakultät für Geschichtswissenschaften an der Ruhr Universität Bochum und ehemaliger Direktor des Dortmunder Stadtarchivs). Das Berswordtretabel zeigt in aufgeklapptem Zustand drei detailreich ausgestaltete Szenen der Passion Jesu: die Kreuztragung, die Kreuzigung und die Kreuzabnahme. Für seinen aufwändig bemalten Rahmen gibt es in dieser Zeit kein vergleichbares Beispiel. Der Berswordtaltar ist von künstlerisch wie kulturhistorisch herausragender Bedeutung.
Mittelalterliche Schriftquellen belegen, dass ein Herr Lemberg im Jahr 1385 die Stiftung eines Kreuzigungsaltars vornahm. Für 1430/31 ist beurkundet, dass die damalige Familie der Berswordts eine ebensolche Stiftung geleistet und aus den Erträgen ihrer Landgüter eine Klerikerstelle in der Marienkirche bezahlt hat. Aufgabe eines solchen Klerikers war, die ‚Memoria‘ – die Erinnerung der Lebenden an die Toten – durch regelmäßig an dem Altar gehaltene Gebete zu leisten. Nach bisherigem Forschungsstand haben die Berswordts die Altarstiftung von der Familie Lemberg übernommen und dies mit dem auf dem Zierrahmen sichtbaren Familienwappen – dem aufsteigenden Eber – zum Ausdruck gebracht.
Lässt sich dieser Forschungsstand bestätigen und das Rätsel um die Entstehungszeit des steigenden Ebers lösen? Eine kunsttechnologische Untersuchung des Berswordt-Altars sollte klären, ob der Zierrahmen zur gleichen Zeit wie die 1385 gemalten Bildtafeln entstanden, ob das Wappentier der Berswordts erst 1430/31 auf dem Rahmen ergänzt wurde oder ob die Berswordt einen neuen, mit ihrem Wappentier geschmückten Zierrahmen anfertigen ließen.
Die umfangreichen mikroskopischen, mikrochemischen und Ultraschall-basierten Untersuchungen
ergaben folgende Befunde, die von Prof. Urbanek anhand zahlreicher Detailaufnahmen auf der Großbildleinwand vorgestellt wurden:
1. Bei der Endmontage von Bildtafeln und Rahmen werden diese mithilfe von Holzdübeln fest verbunden  und jede Entnahme der Bildtafeln führt zu kleinen Beschädigungen am Holz. Aufgrund solcher  Beschädigungen am Berswordt-Retabel lässt sich nachweisen, dass die Bildtafeln aus dem Rahmen genommen wurden, allerdings lässt sich der Zeitpunkt nicht bestimmen.
2. Eine eventuelle Übermalung des Rahmens durch die Berswordts bei der Übernahme der Altarstiftung 1430/31 kann ausgeschlossen werden: Die jetzige Bemalung befindet sich nachweislich auf der originalen Grundierung, zudem gibt es keinen Hinweis auf eine Entfernung früherer Farbschichten.
3. Generell mussten aus Holz bestehende Bildtafeln und Rahmenleisten vor der Bemalung grundiert werden. Beim Berswordt-Altar wurde eine leicht körnige Mischung aus Kreide, Leim und Muschelkalk verwendet, bei der sich ein zeitgleicher, einheitlicher Grundierungsauftrag auf Rahmen und Bildtafeln nachweisen lässt.
4. Bei der Trocknung einer Grundierung entstehen feinste Risse. Diese ziehen sich beim Berswordt-Retabel an einigen Stellen durchgehend über die Bildtafel und den Rahmen, was wiederum auf eine zeitgleiche Bearbeitung verweist.
5. Die Bemalung in roter, grüner und blauer Farbe, die schwarzen Rahmungslinien sowie die Partien in silber und gold wurden nass-in-nass und somit zeitgleich aufgetragen.

Prof. Urbanek und Prof. Schilp konnten aufgrund dieser kunsttechnologischen Untersuchung die zeitgleiche Entstehung von Rahmen und Tafeln für die Zeit zwischen 1380 und 1400 nachweisen. Für Prof. Schilp ergab sich aus dieser Untersuchung ein neuer Forschungsauftrag: Die Neubewertung und Interpretation der  eingangs erwähnten mittelalterlichen Schriftquellen. Wir dürfen auf das Ergebnis gespannt sein.
In die Gegenwart zurück führte der von Dr. Bernt Langeneke vorgetragene ‚Rechenschaftsbericht 2017‘ über die satzungsgemäße Verwendung der eingegangenen Spenden und der Erträge aus dem Stiftungskapital. Er wies darauf hin, dass die Bundesbank in 2019 die 500 € – Scheine einziehen wird, und erwähnte  augenzwinkernd, dass sich auch die Stiftung gerne dieser Scheine annimmt. Anschließend bedankte sich die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Renate Fischer für das andauernde Engagement aller Freunde und Förderer der Stiftung und für die großartige Spendenbereitschaft. Sie dankte allen Gästen und Mitwirkenden für diesen Abend und lud zum traditionellen Umtrunk herzlich ein.
Einen grandiosen Schlussakzent setzte Herr Grob mit der ebenso berühmten wie anspruchsvoll zu spielenden Toccata aus der Orgelsinfonie Nr. 5 von Charles Marie Widor: in pulsierendem Rhythmus und in motivisch sich steigernden Akkorden verzauberte die Orgel den Kirchenraum von St. Marien in einen funkelnden Klangraum.
Silvia Schmidt-Bauer
Schriftführerin Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik