Stiftungsjahrestag 2021

Licht und Finsternis: Im Zentrum dieses Abends standen die Kirchenfenster von Johannes Schreiter. Während sie tagsüber den Kirchenraum mit gleichmäßig hellem Licht erleuchten, ließen sie an diesem Novemberabend den Blick wie in dunkle Leere schweifen. In diese Fenster-Finsternis hinein erklang ein elegisches Allerseelen von Hans Koessler mit sanfter Orgel und tiefsatter Oboe.

Nachdem der Stiftungsjahrestag ein Jahr zuvor Corona-bedingt ausfallen musste, begrüßte Pfarrer Maxeiner die Gäste und Mitwirkenden umso herzlicher. Bürgermeister Norbert Schilff überbrachte die Grußworte der Stadt „in eine Kirche, deren Atmosphäre dem Alltag entfliehen lasse und deren Fenster innehalten lassen, denn wie ein Spiegel der Zeit würden sie Geschichten erzählen.“ Er dankte allen, die sich bisher mit Spenden am Erhalt einer der schönsten Kirchen der Stadt beteiligt haben.

Der stellvertretende Superintendent Michael Stache überbrachte herzliche Grüße vom Evangelischen Kirchenkreis und der Superintendentin Heike Proske. Im Verweis auf Matthäus 5,9 „Selig sind die Frieden stiften“ nennt er den Erhalt historischer Bauwerke wie der Marienkirche und ihrer Ausstattung – wie eben der Schreiter-Fenster – eine Herkulesaufgabe, vor allem angesichts sinkender Mitgliederzahlen der christlichen Kirchen. Dennoch sei die Bewältigung dieser Herkulesaufgabe wichtig, denn der Erhalt solch besonderer Orte und Bauwerke sichere den Frieden der Generationen und damit auch den sozialen Frieden.

Der Festvortrag galt dem 50-jährigen Jubiläum der Kirchenfenster, die in den Jahren 1969-71 von Johannes Schreiter entworfen wurde. Zunächst überbrachte der Festredner, Herr Rainer Schmitt von Derix Glasstudios, herzliche Grüße des mittlerweile über 90-jährigen, bis vor kurzem noch tätigen Glaskünstler. Anschließend umriss er kurz die Firmengeschichte: die Glasmanufaktur besteht seit 1866, wird nun in fünfter Generation von ihm als geschäftsführendem Gesellschafter geführt und realisiert weltweit sakrale wie profane Glaskunst. Vor einigen Jahren wurde zudem die historische Ofenhalle der Glashütte Lamberts in Waldsassen, der letzten deutschen Glasbrennerei, erworben. Sie stellt hochwertiges, mundgeblasenes Flachglas her, das für Bleiverglasungen wie den Schreiter-Fenstern weiterverarbeitet wird. Für das Industriedenkmal dieser historischen Glasmanufaktur hat Herr Schmitt bereits bei der UN den Status des immateriellen Kulturerbes bei der UN beantragt.

Als sehr bodenständiger Fachhandwerker mit einem feinen Gespür für künstlerische Aspekte erläuterte Herr Schmitt den aufwändigen Herstellungsprozess solcher Kunstverglasungen: Nach dem Bauaufmaß der Fenster skizziert der Künstler – in diesem Falle Johannes Schreiter – seinen Entwurf und fertigt anschließend Zeichnungen der Entwürfe im Maßstab 1:1 an, die sogenannten „Kartons“. Anlässlich des Stiftungsjahrestages waren im südlichen Seitenschiff drei solcher, erst im letzten Sommer auf dem Orgelboden der Marienkirche wiedergefundenen Fensterkartons ausgestellt.

Auf diesen 1:1 Fensterkartons sind alle Flächen und Linien eingezeichnet und alle Bleiruten-Breiten sowie Farbsetzungen notiert. Von jedem Fensterkarton wird eine Kopie auf recht festem Papier erstellt und anschließend jede einzelne Glasfläche schabloniert, d. h. mit einem speziellen Doppelklingen-Messer ausgeschnitten. Mit dieser Ausschneidetechnik kann man die Innensteg-Breite z. B. einer H-förmigen Bleirute entsprechend berücksichtigen resp. abschneiden, damit die fertige Bleiverglasung auch passgenau in die vorgesehene Fensteröffnung eingefügt werden kann.

Sowohl die Herstellung einer Bleiverglasung als auch die Herstellung von – auch von Johannes Schreiter verwendeten – mundgeblasenem Glas wurden schon im Mittelalter und werden auch heute in reiner Handarbeit ausgeführt. Für die Glasmasse werden Sand, Kalk, Soda und Pottasche bei über 1000 Grad eingeschmolzen. In der Glashütte Lamberts wird hierzu ein Büttenofen genutzt, in dessen bis zu 16 „Häfen“ bzw. Tiegeln entsprechend viele verschiedenfarbige Glasschmelzen gleichzeitig vorgehalten werden können. Neben farblosem Glas können in der Glashütte Lamberts insgesamt 4.000 verschiedene Farbnuancen hergestellt werden.

Die Glasmasse wird mithilfe einer langen Glasmacherpfeife zu einem länglichen Ballon geblasen. Da man für eine Bleiverglasung Flachglas benötigt, wird dieser Ballon am unteren Ende geöffnet, zu einem Zylinder geformt, aufgeschnitten, erneut auf über 700 Grad erhitzt und schließlich auf einer geraden Fläche mit einem Holzscheit flach gebügelt. Bei diesen Arbeitsgängen entstehen auch kleine Lufteinschlüsse, die „Bläselung“, die jedes Glas zu einem Unikat machen, so auch in einigen Partien bei der Verglasung der Marienkirche.

Im weiteren Werkprozess, das berichtete Herr Schmitt aus der langjährigen Zusammenarbeit, begleitete Johannes Schreiter jeden Schritt selbst, vor allem die Auswahl der Gläser mit Farbverläufen. Hierzu legte Schreiter die Einzel-Schablone auf die Glasscheibe, um die Partie mit dem passenden Farbverlauf auszuwählen. Ist auf einer nicht durch Bleiruten unterteilten Glasfläche ein Farbverlauf gewünscht, geschieht dies mit aufgespritzter Farbe. In der Marienkirche sind alle Einzelgläser schon in der Glasmasse durchfärbt, teils in einer wolkig-rauchigen Binnenstruktur, die sich schon in Schreiters früheren Brandcollagen findet.

Die Glasstücke werden schließlich mit Bleiruten eingefasst und damit zu dem finalen Gesamtfenster zusammengefügt. Alle Stoßpunkte in dem Bleiruten-Netz werden auf beiden Fensterseiten mit Blei verlötet, in die Fugen wird ein Kitt aus Leinöl und Kalk eingebracht, und die Bleiruten werden an den Kanten nochmals angedrückt. Nach Abschluss dieser Arbeiten werden alle bleiverglasten Flächen mit Sägemehl abgerieben, um Fett und überschüssigen Kitt zu entfernen.

Schreiter wählte für die Bleiverglasung unterschiedlich breite Bleiruten, nicht aus technisch-funktionaler Notwendigkeit, sondern in einer künstlerischen Freiheit, die seinem Werk einen hohen Widererkennungswert verleiht: Die freie Linie, die in einem zeichnerischen Gestus ihren Weg sucht, die das streng vertikale Bleiruten-Grundraster durchzieht, die teils in verletzlichen Strukturen mündet. Die Fenster der Marienkirche sind interpretierbar, so Rainer Schmitt. In ihren teils durchsichtigen, meist jedoch milchig-undurchsichtigen, opalen und opaken Glasflächen verhindern die Schreiter-Fenster störende Außeneinflüsse, stattdessen schaffen sie – so wie in der Marienkirche – einen optisch geschlossenen und doch lichten Gebetsraum.

Der von Dr. Thorsten Ziebach vorgetragene Rechenschaftsbericht 2020 über das Spendenaufkommen und die satzungsgemäß verwendeten Mittel bezeugte die pandemische Lage und Lock-Down-Unsicherheit im Jahr 2020: Statt der sonst durchschnittlich 200 Spendeneingängen pro Jahr waren es in 2020 nur rund 140, auch die Gesamtsumme der Zuwendungen waren mit knapp 22.000 € zwar beachtlich, blieb aber hinter früheren Jahren weit zurück. Die mit unter 1% weiterhin schlechte Zinslage ließ die freien Rücklagen abschmelzen, doch die unterstützende Finanzierung der Akustikanlage im Gemeindehaus ist gesichert. Dr. Ziebach brachte seine Hoffnung auf weiterhin tatkräftige Unterstützung beim Spendenprojekt Kirchenfenster zum Ausdruck und schloss mit der schönen Zahl 696.666 €: Dies ist exakt die Summe, welche die Stiftung seit ihrer Gründung 2003 bis einschließlich 2020 für Sanierungsprojekte aufgewendet hat.

Zum Abschluss dankte Frau Fischer allen Mitwirkenden und Gästen für ihr Kommen und ihr anhaltendes Engagement sowie dem Festredner für den sehr interessanten Vortrag über die Technik der Bleiverglasung und das Werk Johannes Schreiters.

Das Allegretto von Camille Saint-Saens entlockte der Orgel mal an eine Harfe, mal an ein Akkordeon erinnernde Klänge, über die sich ein melancholisches Klanggewebe der Oboe breitete. Beim abschließenden Musikstück wechselte die Klangfarbe nochmals: Unter dem Titel Mouvement des modernen und experimentierfreudigen Komponisten Jean Langlais entwickelte sich eine Musik zwischen atonalen Tonnuancen und expressiver Bewegtheit. Der begeisterte Applaus galt Kantor Manfred Grob an der Orgel und Stefanie Dietz an der Oboe.

Silvia Schmidt-Bauer

Schriftführerin Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik